Politik gilt vielen Jugendlichen eher als unsexy. Wie sind Sie mit dem sperrigen Thema in Berührung gekommen?
June Tomiak: Ich wurde relativ spät, Ende der neunten Klasse, als Klassensprecherin an meiner Schule in Charlottenburg-Wilmersdorf gewählt und habe dann praktisch alles auf einmal gemacht: Ich bin von meiner Schule in den Bezirk delegiert worden, und war dann auch im Vorstand des Landesschülerausschusses. Also, quasi alles einmal im Schnelldurchlauf – ich fand das total spannend.
Was hat Sie besonders interessiert?
Tomiak: Alles Mögliche! Wir haben in Berlin zum Beispiel große Probleme mit dem baulichen Zustand der Schulen, es gibt da einen regelrechten Sanierungsstau. Und was für mich eine große Rolle gespielt hat: Ich wollte mitentscheiden, wie mein Schulalltag aussieht. Angefangen von der Frage, wie ich meine Pausenzeiten verbringe, bis hin zur Diskussion über Handyverbote. Alle technischen Geräte sollten nur noch unter Aufsicht benutzt werden, das fand ich ziemlich daneben!
Sie hatten das Gefühl, als Sprecherin etwas tun, sich einbringen zu können? Wurden Sie ernst genommen?
Tomiak: Ich habe mitbekommen, dass man Dinge verändern kann. Das war eine Erkenntnis, die mich stark geprägt hat. Geärgert hat mich der generöse Ton mancher Politiker, in der Art: Die Jungen haben ja ganz hübsche Ideen, aber jetzt lasst uns doch mal wieder zur Tagesordnung übergehen…
Das hat sie herausgefordert? Sie wollten mehr?
Tomiak: Absolut. Ich war zeitweilig schon frustriert, dass es so gut wie keine jungen Leute in der Politik gibt. Aber immer nur meckern geht halt nicht. Irgendwann muss man auch machen!
Wann fiel dieser Entschluss konkret?
Tomiak: Ich habe im Sommer 2015 Abitur gemacht; die Listenaufstellung der Grünen war im März. Ende 2015 bin ich in die Partei eingetreten, davor war ich drei Jahre Mitglied der Grünen Jugend. Dann fiel der Entschluss, bei den „Großen“ mitmachen zu wollen. Das ist noch mal ein anderer Schnack, als nur in Schülergremien oder Jugendorganisationen unterwegs zu sein.
Da geht es auch um vermeintliche Pfründe. Wie sind Ihnen die etablierten Parteimitglieder begegnet, die zum Teil seit Jahren an ihren Themen arbeiten?
Tomiak: Ich wurde sehr gut aufgenommen. Aber es konnte mir natürlich vorher niemand sagen, ob das klappt oder nicht. Die Grünen wählen ihre Liste ja basisdemokratisch; das heißt, jedes Parteimitglied in Berlin konnte zur Aufstellungsversammlung kommen. Am Ende waren über 1000 Leute im Kino „International“ an der Karl-Marx-Allee… Ich habe meine Rede gehalten, und bis zu dem Moment, wo die Stimm-Ergebnisse angezeigt wurden, war nicht klar, ob ich den Saal überzeugen konnte.
Wie hat sich Ihr Leben seither verändert? Wie sieht ein normaler Arbeitstag für Sie aus?
Tomiak: Wir haben einen Zwei-Wochen-Rhythmus, mit den Plenarsitzungen und den Ausschüssen, in denen ich fest vertreten bin. Dazwischen läuft klassische Parlamentsarbeit: Ich schreibe Anfragen, ich mache Pressearbeit. Ich bin relativ viel auf Social Media unterwegs, ich möchte meine Arbeit damit transparent machen.
Ausschussarbeit - das klingt ein wenig nach Langeweile und den Mühen der Ebene...
Tomiak: Das kommt stark aufs Thema an. Und darauf, was man draus macht. Ich sitze im Innenausschuss, im Verfassungsschutzausschuss, im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie. Und bin jetzt gewählt worden in den Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf dem Breitscheidtplatz. Ich findet das hoch spannend, zu sehen: Wie wirkt sich das, was wir da zu Papier bringen, eigentlich auf die Menschen aus?
Werden Sie von den älteren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Parteien ernst genommen?
Tomiak: Ich glaube, man muss als junger Mensch doppelt so professionell sein, um ernst genommen zu werden - speziell als junge Frau! Am Anfang wurde ich öfter für die neue Praktikantin der Grünen gehalten (lacht). Klar hat das auch viel mit unsere Vorstellungen von Politik und Politikern zu tun: Da bediene ich sicher nicht das klassische Bild. Mittlerweile passieren die Verwechslungen nicht mehr so häufig, ich habe mir offensichtlich Respekt über meine inhaltliche Arbeit verschafft.
Jugendliche interessieren sich wieder deutlich mehr für Politik, stehen den politischen Parteien und Institutionen aber äußerst skeptisch gegenüber. Woher kommt dieses Misstrauen?
Tomiak: Junge Menschen haben eine komplett andere Lebensrealität als Angehörige des Politikbetriebs, selbst wenn diese, was selten genug vorkommt, zwischen 30 und 40 Jahre alt sind. Wir sind mit dem Internet aufgewachsen, haben ein völlig anderes Verständnis davon, wie wir uns organisieren oder miteinander leben wollen. Wenn man allein in so eine „ältere“ Struktur reingeht, kann das sehr abschreckend wirken. Die Jungen sind auf keinen Fall desinteressiert - aber die Idee, sich für einen Kreisverband oder auf Stadtteilebene für eine Partei zu engagieren, ist für jemanden, der quasi in eine grenzenlose Welt hineingewachsen ist, nicht mehr so attraktiv. In eine Partei zu gehen, sozusagen für das ganze Paket zu unterschreiben, ist für viele der Jungen keine Option. Sie engagieren sich für konkrete Themen, unterschreiben dafür Petitionen, gehen sogar auf die Straße. Aber die klassischen Parteien gelten ihnen als schwerfällige Tanker, die wenig Attraktivität ausstrahlen.
Was machen Sie, um junge Menschen nicht komplett zu verlieren?
Tomiak: Es sind kleine Schritte. Ich gehe oft auf Schulpodien oder lade Klassen ins Abgeordnetenhaus ein. Dann gibt’s eine Führung, und später reden wir darüber, wie das so läuft im Parlament. Ich bemühe mich, mit den Jugendlichen in ihrer Sprache zu sprechen, ganz unabgehoben.
Für viele ist das vermutlich schon eine halbe Sensation?
Tomiak: Stimmt. Sie sind es nicht gewohnt, einer Politikerin zu begegnen, die wie sie auf Instagram unterwegs ist oder zu Hause Netflix schaut. Allein diese vergleichbare Lebensrealität sorgt dafür, dass das Klischeebild vom abgehobenen, weltfremden Politiker in Teilen korrigiert wird. In vielen Punkten haben junge Leute eine ähnliche Auffassung: Für die meisten ist etwa Umweltschutz wichtig, auch wenn beileibe nicht alle grün wählen würden. Wir haben nur die eine Erde, warum halten wir uns damit noch auf? Das ist für viele junge Leute Konsens, wir sind da qua Generation schneller beieinander als die alten Parteien - auch wenn viele noch gar nicht für sich realisieren, dass sie sich hier schon auf politischem Feld bewegen.
Was wäre zu tun, dass die Jungen der Politik nicht entgleiten?
Tomiak: Es geht hier ja nicht nur darum, inwieweit sich Jugendliche abstrakt von unserer Demokratie repräsentiert fühlen. Es ist sehr konkret: Wir, die Jungen, werden die sein, die die Folgen nicht erreichter Klimaziele ausbaden müssen. Wir müssen mit den Konsequenzen heute getroffener Entscheidungen leben. Soziale Gerechtigkeit ist ein Punkt, die älter werdende Gesellschaft ein anderer. Viele Probleme wurden sehr lange verdrängt, irgendwann wird das auf uns niederprasseln. Wie es gelingt, die jungen Leute abzuholen? Ich habe kein Patentrezept. Aber es geht sicher darum, in einen Dialog zu kommen, der offen und ehrlich geführt wird. Letztlich liegt die Zukunft in unserer Hand.
Sie sind seit Ende 2016 im Berliner Parlament - hat der Job sie verändert?
Tomiak: Man merkt es an Kleinigkeiten. Wenn ich mit Freunden abends noch mal was Trinken gegangen bin, habe ich früher oft gesagt: OK, wird schon, auch wenn ich morgen früh zeitig raus muss. Das habe ich mir mittlerweile abgewöhnt. Verkatert in Sitzungen - das funktioniert nicht so gut (lacht). Ich gehe allerdings mit vielen Dingen in meinem Alltag entspannter um, weil ich gemerkt habe, dass ich das ganz gut managen kann.
Die Legislatur dauert fünf Jahre. Haben sie ein spezielles Ziel auf Ihrer Agenda, das sie in dieser Zeit erreichen wollen?
Tomiak: Nebenbei studiere ich weiter. Ich werde wohl nicht innerhalb der Regelstudienzeit abschließen, finde diese Herausforderung aber total wichtig für mich.
Auch weil das Studium ein Stück normales Leben ist?
Tomiak: Wenn ich in einer Projektarbeit sitze und sage, dass ich jetzt los muss, weil ich einen Termin beim Polizeipräsidenten habe, ist das schon grenzwertig (lacht). Aber man kann damit umgehen.
Sind sie vor Reden noch aufgeregt?
Tomiak: Es wird besser. Ganz ohne Lampenfieber geht es nicht ab. Aber das ist auch gut so.
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June Tomiak [www.junetomiak.de] geboren am 8. Februar 1997 in Berlin, wuchs in einer Patchwork- und Regenbogenfamilie im Wedding auf. 2015 legte sie ihr Abitur am Berliner Gottfried-Keller-Gymnasium ab. Von 2013 bis 2015 war sie in verschiedenen Funktionen im Landesschülerausschuss aktiv. Sie gehört der Grünen Jugend seit 2012 und Bündnis 90/Die Grünen seit 2016 an. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin wurde sie 2016 über die Landesliste gewählt; sie ist die jüngste Abgeordnete der 18. Wahlperiode. June Tomiak ist Sprecherin ihrer Fraktion für Jugend und für Strategien gegen Rechtsextremismus. Neben ihrer Tätigkeit im Abgeordnetenhaus studiert Tomiak Kultur und Technik mit Schwerpunkt Philosophie an der TU Berlin.
Nicht meckern – machen! Damit sich auch der Nachwuchs aktiv in die Politik einmischt und eine offene Diskussionskultur lebt, veranstaltet die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr im Rahmen des Schwerpunkts Fokus Bildung erstmals das Forum Politik und Medienbildung. Gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung [https://www.bpb.de] und den Non-Profit-Organisationen Helliwood [http://www.helliwood.de] und TINCON [https://tincon.org] gibt die Buchmesse mit jungen Formaten Einblick in Themen wie Zivilcourage, demokratische Bildung oder Digitalisierung. Neben Podiumsdiskussionen und Lesungen, einem digitalen Lernlabor oder einem „Democracy Slam“ wird June Tomiak, die jüngste Parlamentarierin Deutschlands, einen Talk über ihre politische Arbeit halten (16. März, 11.30 Uhr, Forum Politik und Medienbildung, Halle 2, D 310/C 311).
Fotos: Ben Groß