Nominierungen und Preisträger 2016
Nominierungen 2016
Im Jahr 2016 waren insgesamt 15 Autoren für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Die siebenköpfige Kritikerjury nominierte jeweils fünf Autoren bzw. Übersetzer in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung für den Preis der Leipziger Buchmesse 2016:
Kategorie Belletristik:
- Marion Poschmann: "Geliehene Landschaften. Lehrgedichte und Elegien" (Suhrkamp Verlag)
- Roland Schimmelpfennig: "An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts" (S. Fischer Verlag)
- Nis-Momme Stockmann: "Der Fuchs" (Rowohlt Verlag)
- Heinz Strunk: "Der goldene Handschuh" (Rowohlt Verlag)
- Guntram Vesper: "Frohburg" (Schöffling & Co.)
Kategorie Sachbuch/Essayistik:
- Jürgen Goldstein: "Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt" (Matthes & Seitz Berlin)
- Christoph Ribbat: "Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne" (Suhrkamp Verlag)
- Ulrich Raulff: "Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung" (Verlag C. H. Beck)
- Werner Busch: "Adolph Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit" (Verlag C. H. Beck)
- Hans Joachim Schellnhuber: "Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff" (C.Bertelsmann)
Kategorie Übersetzung:
- Claudia Hamm: übersetzte aus dem Französischem: "Emmanuel Carrère: Das Reich Gottes" (Verlag Matthes & Seitz Berlin )
- Frank Heibert: übersetzte aus dem amerikanischen Englisch: "Richard Ford: Frank" (Hanser Berlin)
- Ursula Keller: übersetzte aus dem Russischen: "Michail Ossorgin: Eine Straße in Moskau" (Die Andere Bibliothek)
- Brigitte Döbert: übersetzte aus dem Serbischen: "Bora Ćosić: Die Tutoren" (Schöffling & Co.)
- Kirsten Brandt: übersetzte aus dem Katalanischen: "Joan Sales: Flüchtiger Glanz" (Carl Hanser Verlag)
Preisträger 2016
Preis der Leipziger Buchmesse 2016 vergeben
Guntram Vesper Jürgen Goldstein und Brigitte Döbert sind die Preisträger
Kategorie Belletristik:
Guntram Vesper: "Frohburg"
(Schöffling & Co.)
Zur Begründung
Guntram Vespers Roman "Frohburg" gehört zu den Büchern, bei denen man leicht, ganz schnell, auf die großen Begriffe kommt. Opus magnum. Mammutwerk. Solche Wendungen. Schließlich breitet Guntram Vesper eine umfangreiche Geschichtslandschaft vor uns aus, die von der Gegenwart aus die alte Bundesrepublik, die DDR natürlich, die Nazizeit umfasst und weit in die Geschichte Deutschlands zurückbindet, bis dahin, wohin nur noch die Geschichtsbücher reichen.
Es lohnt sich aber, bei diesem Roman nicht nur den großen Bau zu sehen, sondern auf die Ebene der Details zu gehen, die Ebene der einzelnen Sätze. Die Sätze in diesem Buch sind lang, oft bringen sie gleich mehrere Perspektiven zusammen, und sie sind stets konkret, geatmet, nah dran an der Mündlichkeit. Insgesamt folgen sie dabei einer Ästhetik des Verknüpfens. Man spürt beim Lesen manchmal gar nicht, wie gleitend diese Sätze einen durch die Zeiten und Geschichten, Namen und Schauplätze tragen.
Und genauso folgt der Roman auch auf der größeren Ebene dieser Ästhetik des Verknüpfens. Die große Geschichte – Weltkrieg, Einmarsch der Roten Armee, DDR-Alltag, auch Alltag des bundesrepublikanischen Literaturbetriebs – wird mit dem Kleinen, der Geschichte Frohburgs und der eigenen Familiengeschichte verknüpft.
Wovon dieser Roman handelt, das ist letztendlich immer auch die Übermacht von Geschichte, Kriege, Systeme, historischer Wandel, der über die konkreten einzelnen Menschen hinwegrollt. Diese Erfahrung des 20. Jahrhunderts ist in dem Buch aufbewahrt, und zwar – und das ist wichtig – ohne aus den sogenannten kleinen Leuten Helden zu machen. Der Roman handelt aber auch von dem Erzähler, dem Verknüpfer, den Guntram Vesper der Übermacht an Geschichte entgegenhält. Auch der Erzähler hat, bei all seinem Können, nichts Heldisches, er ist ein, wie man bei diesem lebenssatten Buch mit Erstaunen immer wieder feststellen kann, erstaunlich junger, immer wieder von sich selbst überraschter Erzähler. Man glaubt ihm gern, dass seine Erzählungen wahr sind.
Der Autor
Guntram Vesper, 1941 in Frohburg geboren, lebt und arbeitet als freier Autor in Göttingen. Sein Lyrikdebüt Fahrplan erschien 1964. Neben Gedichten verfasste er vor allem Hörspiele und Erzählungen. Er wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u. a. mit dem Peter-Huchel-Preis 1985. 2006 erhielt er die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung.
Kategorie Sachbuch/Essayistik:
Jürgen Goldstein: "Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt"
(Matthes & Seitz)
Zur Begründung:
Der Entdecker, Zeichner, Schriftsteller, Übersetzer und Revolutionär Georg Forster, der an James Cooks zweiter Weltumseglung teilnahm und 1793 die Mainzer Republik ausrief, hat die Leser mit seiner "Reise um die Welt" betört. Jürgen Goldstein ist offenbar bei ihm in die Lehre gegangen. Seine Prosa ist anschaulich und unaufgeregt. Auf wunderbare Weise findet er genau das richtige Maß, sehr fein tariert er das Verhältnis von Originalzitaten und Deutung aus. Entschlossen tritt er hinter seinen Gegenstand zurück, der dadurch umso besser zur Geltung kommt.
"Zwischen Freiheit und Naturgewalt" heißt das Buch im Untertitel. Es lässt jene kurze Episode des Globalisierungsprozesses aufleuchten, als Entdeckungen noch Verheißungen waren, noch nicht auf der Kippe, um in Verlustgeschichte umzuschlagen.
Auch Georg Forsters Leben endete mit einer Verlusterfahrung. Jürgen Goldstein fängt sie durch geschickte Montage wie ein Prisma ein. Die Tragik dieses politischen Naturschwärmers hat nichts Heroisches, sie wird gestreift von einer Art Sanftmut und Schicksalsergebenheit. Als leidenschaftlicher Jakobiner sitzt er am Ende seines Lebens allein in Paris und sieht durch die Jakobinische Schreckensherrschaft all seine Hoffnungen zerstört. Noch einmal versucht er, die Revolution als Naturereignis zu legitimieren, das sich – wie der Ausbruch eines Vulkans – nicht aufhalten lässt. In einem Brief an seine längst die Scheidung betreibende Frau schreibt er wahrheitsgemäß: "Aus der Ferne sieht alles anders aus, als man es bei näherer Betrachtung findet."
Jürgen Goldsteins Forster-Buch ist mehr als eine Biografie. Es liest sich wie der Abenteuerroman eines Lebens, voller Erkenntnisse, die bis heute gültig sind.
Der Autor:
Jürgen Goldstein, geboren 1962 in Beckum, lehrt als Professor für Philosophie an der Universität Koblenz-Landau. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Aspekte der Politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, die Konstitution der neuzeitlichen Subjektivität und Rationalität, u.a. bei Hans Blumenberg und Descartes, sowie die Geschichte der Naturwahrnehmung. 2013 erschien Die Entdeckung der Natur bei Matthes & Seitz Berlin. Für Georg Forster erhielt er im Herbst 2015 den Gleim-Literaturpreis.
Kategorie Übersetzung:
Brigitte Döbert übersetzte aus dem Serbischen: "Die Tutoren" von Bora Ćosić
(Schöffling & Co.)
Zur Begründung:
Unübersetzbar: Es gibt Bücher, denen dieser Ruf vorauseilt, als wäre es ihr Schicksal. Ein trauriges Schicksal, denn es würde bedeuten, dass es aus der Sprache seines Ursprungs nicht heraus kann, und ein umso traurigeres, wenn diese Sprache nicht groß ist. Aber manche Übersetzer und Übersetzerinnen fühlen sich gerade durch solche 8000er der Literatur herausgefordert. So erging es offenbar auch Brigitte Döbert, die das Opus magnum des serbischen Autors Bora Ćosić ins Deutsche gebracht hat: Die Tutoren. Es ist ein Buch, das fünf Generationen, 150 Jahre und eine unglaubliche Menge von Personal umfasst.
Brigitte Döbert hat viel Zeit und Herzblut in dieses Projekt gesteckt, sie hat recherchiert, wie es so flächendeckend erst heute, im Zeitalter des Internets, geht, um noch den obskursten Anspielungen nachzuspüren, und für jede Nuance den eigenen Ton gefunden. Außer von der Pflicht zur Genauigkeit hat sie sich auch von jener Kühnheit leiten lassen, die man braucht, wenn man dem weit entfernten Fremden in der neuen Sprache eine Heimat schaffen will.
Die Autorin
Brigitte Döbert, geboren 1959 in Offenbach am Main, ist freiberufliche Lektorin, Autorin und Literaturübersetzerin aus dem Bosnischen, Englischen, Kroatischen und Serbischen. Sie übersetzt neben Bora Ćosić u. a. Dževad Karahasan, Roman Simić, Dragan Velikić und Miljenko Jergović. Döbert hat zahlreiche Stipendien erhalten, darunter das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds. 2012 war sie für den Brücke-Berlin-Preis nominiert. Sie lebt und arbeitet in Berlin. ihre Übersetzungen wurden u. a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, der Carl-Zuckmayer-Medaille für Verdienste um die deutsche Sprache und der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet. Sie übersetzte u. a. Aharon Appelfeld, Zeruya Shalev und John Steinbeck.
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